- Große Variabilität: Karosserie und Radstand je nach Rennstrecke
- Renndurchführung mit herausragender Präzision durchgeführt
- Die Bestzeit von Stirling Moss bei der Mille Miglia 1955 gilt bis heute
Erfolgreichstes Fahrzeug der Saison 1954 und 1955: Mercedes-Benz Formel-1-Rennwagen W 196 R, hier mit Stromlinienkarosserie.
Was für ein Tag, der 4. Juli 1954! Die deutsche Fußballnationalmannschaft gewinnt in Bern die Weltmeisterschaft. Und Mercedes-Benz meldet sich in Reims/Frankreich furios im Grand-Prix-Geschehen zurück: Doppelsieg der Silberpfeile. Sehr schnelle Stromlinien-Rennwagen. Eine ganze Runde Abstand zum Feld. Die Gegner sind perplex. Und das Ganze auch noch auf den Tag genau 40 Jahre nach dem Sieg von Christian Lautenschlager 1914 auf Mercedes beim Großen Preis von Frankreich.
Großer Preis von Frankreich in Reims, 4. Juli 1954: Im Mercedes-Benz W 196 R Stromlinienwagen der spätere Sieger Juan Manuel Fangio (Startnummer 18), daneben Karl Kling (Startnummer 20), dahinter Hans Herrmann (Startnummer 22)
Daimler-Benz ist überaus zufrieden. Mit einem Paukenschlag hat sich das Unternehmen zurück gemeldet und den Mythos der Mercedes-Silberpfeile neu belebt. Und der „Spiegel“ bringt am 28. Juli Rennleiter Alfred Neubauer auf dem Titel mit der knappen Zeile „Wer tankt verliert.“
Das siegreiche Auto trägt die Typenbezeichnung W 196 R. Zuerst fertig gestellt wird die Stromlinien-Version, weil das Auftaktrennen in Reims sehr hohe Geschwindigkeiten zulässt. Danach gibt es noch eine Monoposto genannte Variante mit freistehenden Rädern.
Erfolgreichstes Fahrzeug der Saison 1954 und 1955: Mercedes-Benz Formel-1-Rennwagen W 196 R, hier mit Stromlinienkarosserie.
Großer Preis von Frankreich in Reims, 4. Juli 1954. Hans Herrmann (Startnummer 22) am Steuer des Mercedes-Benz Formel-1-Rennwagen W 196 R mit Stromlinienkarosserie.
Der W 196 R erfüllt alle Bedingungen der Grand-Prix-Formel der CSI (Commission Sportive Internationale) ab 1954: Hubraum 750 Kubikzentimeter mit oder 2500 Kubikzentimeter ohne Kompressor, beliebige Zusammensetzung des Treibstoffs, Renndistanz 300 Kilometer, mindestens jedoch drei Stunden.
Mit der Leitung des Projekts betraut ist Fritz Nallinger. Maßgeblich die Entwicklung beeinflusst Rudolf Uhlenhaut, Technikchef der Rennabteilung seit dem 1. September 1936. Ihnen gehen die Ingenieure Ludwig Kraus, Hans Scherenberg, Manfred Lorscheidt, Hans Gassmann und Karl-Heinz Göschel sowie weitere Spitzenkräfte des Hauses zur Hand. Und obwohl im Falle des W 196 R einmal mehr das Ganze viel mehr ist als die Summe der Teile, ist jedes Element der Rede wert, damalige Technologie vom Besten – auch wenn sich gelegentlich in den Tiefen der Vergangenheit Präzedenzfälle finden.
Das Meisterstück in Silber, gefertigt in vierzehn Exemplaren inklusive eines Prototyps, lässt in den nächsten beiden Jahren die Konkurrenz verzagen.
Der ursprüngliche Stromlinienaufbau ist zweckmäßig und schön zugleich, allerdings wird ab dem Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring Anfang August 1954 eine „Monoposto“ genannte Version mit frei stehenden Rädern zur Standardausrüstung. Der Gitterrohrrahmen ist leicht und stabil, das Fahrwerk mit Drehstab-Aufhängung und einer neuen Eingelenk-Pendelachse hinten sowie riesigen turbogekühlten, innen mittig untergebrachten Duplex-Trommelbremsen unkonventionell gut. Der Reihenachtzylinder mit direkter Einspritzung und desmodromisch gesteuerten Ventilen (1954: 256 PS/188 kW bei 8260/min, 1955: 290 PS/213 kW bei 8500/min) ist im Winkel von 53 Grad nach rechts geneigt in das Rahmenfachwerk eingebaut, um den Schwerpunkt abzusenken und die Stirnfläche zu verkleinern.
Großer Preis von Belgien in Spa-Francorchamps, 5. Juni 1955: Der Sieger Juan Manuel Fangio auf Mercedes-Benz W 196 R Monoposto mit der Startnummer 10.
Dazu kommen die minutiöse Vorbereitung und Durchführung des Projekts Grand Prix im Zeichen des Stuttgarter Sterns, die einerseits an die ruhmreichen 1930er Jahre erinnern und zugleich die Formel-1-Moderne vorwegnehmen. Und noch etwas: Damit das beste Fahrzeug auch vom besten Fahrer gesteuert wird, hat Rennleiter Alfred Neubauer den anfänglich widerstrebenden Top-Lenker Juan Manuel Fangio engagiert, dazu 1955 den viel versprechenden Stirling Moss – ein schier unschlagbares Duo.
Zwei Varianten: Monoposto und Stromlinie
Die beiden Versionen des W 196 R sind mit relativ wenigen Handgriffen gegeneinander austauschbar: Chassis Nummer zehn etwa, das heute mit einer neuen Aluminiumkarosserie schimmernd von vergangener Glorie kündet, wird 1955 mit offenen Rädern eingesetzt bei den Grand Prix von Argentinien (unter Hans Herrmann, Karl Kling und Moss, Platz 4) und Holland (mit Moss am Lenkrad, Rang 2) und voll verkleidet als Trainingswagen in Monza.
Welche Variante eingesetzt wird, hängt ab von den Eigenheiten der Strecke, der Strategie sowie den Vorlieben und Abneigungen des jeweiligen Fahrers.
Dass der W 196 R mit einer Pendelachse mit tief gelegtem Drehpunkt anstatt des gängigen De-Dion-Layouts an den Start geht, erklärt Uhlenhaut mit dem Zeitdruck, unter dem er 1953 konzipiert worden sei, überdies habe man über hinreichende Erfahrungen mit dieser Lösung verfügt. Zu einer guten Massenverteilung trägt die Verlagerung großer Gewichte in die Extremitäten des W 196 R bei: Wasser- und Ölkühler ganz nach vorn, Treibstoff- und Öltank ganz nach hinten. 1955 finden sich die vorderen Trommelbremsen bei einigen Wagen in den Rädern, und drei Radstände stehen zur Verfügung, 2150 Millimeter, 2210 Millimeter und 2350 Millimeter. Der kürzeste eignet sich trefflich für den verwinkelten Stadtkurs von Monaco und verleiht den anwesenden Monoposti eine Anmutung von gedrungen-entschlossener Zweckmäßigkeit. Er ändert aber nichts daran, dass jener 22. Mai zum schwarzen Tag für Mercedes-Benz gerät. Schon im Training erleidet Hans Herrmann einen Unfall, im Rennen scheidet Fangio mit einem Bruch der Kardanwelle aus, Moss mit Motorschaden, wie auch der im dritten Silberpfeil fahrende Ersatzfahrer André Simon.
Der Motor ist ein Präzisionsaggregat
Bevor der Achtzylindermotor erstmals auf dem Prüfstand läuft, wird wie üblich ein Versuchsaggregat mit nur einem Zylinder erprobt, mit 310 Kubikzentimeter Hubraum und vier Ventilen. Diese Lösung deckt auf, woran bereits die Silberpfeil-Rennmotoren der 1930er Jahre litten: Probleme im Umkreis des Ventiltriebs jenseits 8000/min, vor allem zerbrechliche Federn. Bei der Heimfahrt mit der Straßenbahn am Abend des 20. Mai 1952 kommt dem Pendler Hans Gassmann die rettende Idee und er präsentiert sie am nächsten Morgen: Für das Öffnen und Schließen der Ventile sind Nocken und Schlepphebel zuständig, so dass man ohne Federn auskommt. Die Vorzüge liegen auf der Hand – höhere Drehzahlen, mehr Sicherheit, mehr Leistung. Da auf diese Weise auch größere und schwerere Ventile verwendet werden können, entscheidet man sich für zwei je Zylinder.
Die gemeinsam mit Bosch entwickelte Einspritzpumpe ähnlich der eines Dieselmotors besteht aus einem Gehäuse mit acht Zylindern, aus dem der Treibstoff mit einem Druck von 100 Kilogramm pro Kubikzentimeter direkt in die Brennräume gegeben wird. Auf den ruhmreichen Mercedes-Benz Rennwagen 18/100 PS von 1914 geht zurück, dass die Zylinder (zwei Vierer-Gruppen mit zentraler Kraftabnahme) fest mit einer Grundplatte verbunden, aber getrennt von der Unterkunft des Nockenwellenantriebs auf ein Aluminium-Gehäuse geschraubt sind, umgeben von einem angeschweißten Kühlwassermantel. Als Treibstoff dienen die hochreaktiven Esso-Mischungen mit dem Code RD 1, zusammengemixt aus den Substanzen Benzol (45 Prozent), Methylalkohol (25 Prozent), Gasolin von 110/130 Oktan (25 Prozent), Aceton (drei Prozent) und Nitrobenzol (zwei Prozent). Einen Tank aus ungeschütztem Stahl, erinnert sich Hans Herrmann, hätten sie über Nacht locker zerfressen.
Die Bilanz des W 196 R: neun Siege und schnellste Runden sowie acht Pole-Positions in den zwölf Grand Prix, an denen er teilnimmt, sowie die beiden Fahrertitel 1954 und 1955 für Fangio. Viel besser geht’s nicht.
Technische Daten Mercedes-Benz W 196 R
Einsatz: 1955 / 55
Motor: 8-Zylinder-Reihenmotor
Hubraum: 2496 Kubikzentimeter
Leistung: 256 PS (188 kW), später bis zu 290 PS (213 kW)
Höchstgeschwindigkeit: über 300 km/h
Bilder: Mercedes-Benz 300 SLR Rennsportwagen (W 196 R)
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Fotos: (c) by Mercedes Benz