Mercedes-Benz W121 ist auch die interne Bezeichnung des von 1955 bis 1963 gebauten Mercedes-Benz Roadsters 190 SL, der auch unter dem Namen Nitribitt-Mercedes bekannt wurde. Plattform für diesen Mercedes war die des oben aufgeführten 180er Ponton-Modells. Ursprünglich war über eine 2-sitziges Variante des 180er-Modells in 1953 nachgedacht worden, aber glücklicherweise wieder zu Gunsten der bekannten 190 SL-Designvariante verworfen worden.
Kaum ein Auto-Klassiker verströmt den Charme der späten 50er Jahre so perfekt wie dieses Mercedes-Benz Cabrio. Neben der zeitlosen Eleganz dieses Touren-Sportwagens faszinieren die Besitzer und Bewunderer dieses Fahrzeugs gleichermaßen die nachfolgenden Anekdoten und Legenden, die sich um dieses Cabrio/Coupé ranken.
Die Geburtsstunde des Mythos "SL" schlug in New York
Auf der International Motor Sports Show im Februar 1954 präsentierte Mercedes-Benz gleich zwei Ihrer berühmtesten "SL"-Modelle: Einerseits den 300 SL-Flügeltürer als reinrassigen Rennsportwagen und daneben den 190 SL, der die eigentliche "SL"-Roadster-Tradition begründete. An der Entstehung dieser Fahrzeuge spielte insbesondere der USA-Importeur für Daimler-Benz, Max Hoffmann, eine Schlüsselrolle. Dieser überzeugte den Daimler-Benz-Vorstand im September 1953 davon, den braven und biederen Limousinen-Modellen zwei attraktive Sportwagen an die Seite zu stellen, um diese als Zugpferde für das gesamte Mercedes-Programm in den Vereinigten Staaten zu nutzen. Mit welchem Mut zum Risiko dieses Vorhaben angegangen wurde, beweist die rekordverdächtige Entwicklungszeit von nur einem halben Jahr zwischen Reisbrettentwurf und der Präsentation der zwei seriennahen Sportwagenmodelle, deren harmonische Proportionen bis heute mit zum Schönsten gehört, was jemals in der Automobilbranche entwickelt wurde.
Während in New York noch eine Modellstudie ausgestellt war, wurden in den nachfolgenden Monaten an der Karosserie noch optische Retuschen (z.B. Entfall der Lufthutze auf der Motorhaube, Ausformung der Heckkotflügel mit Lanzetten etc.) vorgenommen. Die finale Serienausführung war erstmals auf dem Automobilsalon in Genf im Frühjahr 1955 zu sehen. Der Serienstart in Deutschland erfolgte ab dem Spätsommer 1955.
Verkaufsschlager diesseits und jenseits des Atlantiks
Die betörende Blechhaut des 190 SL wurde von seinen Entwicklern ganz bewusst in die Nähe des 300 SL gerückt, um sich gute Absatzchancen dieses Touren-Sportwagens zu sichern. Diese Vorgehensweise erwies sich als goldrichtig, denn der 190 SL wurde insbesondere in Übersee von einer betuchten Kundschaft stark nachgefragt. Von den knapp 25.881 gebauten Fahrzeugen wurden 10.368 Exemplare in die USA exportiert. Aber auch in Deutschland fanden 5.245 Fahrzeuge ihren Weg in die Doppelgaragen der besseren Wohnviertel. Mit einem Grundpreis von 16.500 DM (Roadster) bis 17.650 DM (Coupé mit Hardtop und Roadsterverdeck) kostete dieses Auto etwa die Hälfte eines Einfamilienhauses (so wie heute auf Zustandsnote "1" restaurierte Fahrzeuge auch), so dass sich nur berühmte Persönlichkeiten wie Grace Kelly, Frank Sinatra, Gina Lollobrigida oder wohlhabende Fabrikanten (gattinen) diesen Luxuswagen leisten konnten. Mit dem hohen Inlandsverkaufspreis - der über die gesamte Bauzeit des Wagens von 1955 bis 1963 unverändert bestehen blieb - wurde der niedrigere Exportpreis des Wagens in den USA subventioniert.
Zuverlässiger Begleiter mit Charmefaktor
Insbesondere bei der Damenwelt war der kleine wendige Softsportwagen beliebt, denn man konnte ihn unkompliziert offen fahren, er war zuverlässig und verfügte über ein für damalige Verhältnisse leichtes Handling. Aber nicht nur auf den noblen Großstadt-Boulevards machte der 190 SL eine attraktive Figur, auch von der Motorisierung mit 105 PS und Fahrleistungen um die 175 km/h konnte der kleine Roadster durchaus mit einem Porsche 356 B Carrera mithalten. Wenngleich diese Leistungswerte heute nicht mehr beeindrucken, so muss man bedenken, dass in den Wirtschaftswunderjahren ein Großteil der Bevölkerung sich mit 34 VW-Käfer-PS und 100 km/h Spitze als ausreichend motorisiert fühlte.
Das Lebemädchen Rosemarie und die Bezeichnung "Nitribitt-Roadster"
1958 brach der Deutschland-Absatz des 190 SL kurzfristig ein und Daimler-Benz musste mit einer Sonderprämie für den Verkauf gegensteuern. Was war geschehen? Der gewaltsame und bis heute nicht aufgeklärte Tod der Frankfurter Prostituierten Rosemarie Nitribitt im November 1957, die ihren hochglanzschwarzen 190 SL mit den auffälligen roten Ledersitzen zum prominenten Kundenfang nutzte, war monatelang Tagesgespräch in allen Medien. Das kurze Leben des "Mädchens Rosemarie" wurde zudem in einem abendfüllenden Leinwandklassiker mit Nadja Tiller (und 1996 als Remake mit Nina Hoss) verfilmt, was die Spekulationen über die Hintergründe des Mordes und der Auftraggeber, die im Kreise der oberen Zehntausend vermutet wurden, weiter anheizte. Kein Wunder, dass im noch prüden Wirtschaftswunder-Deutschland es eine gewisse Zeit nicht mehr schick war, sich mit diesem Fahrzeug zu zeigen. Aus heutiger Sicht tat diese unfreiwillige Hauptrolle des 190 SL dem heutigen Erfolg des Fahrzeugs keinen Abbruch, sondern der "Sex and Crime-Faktor" wurde zum festen Bestandteil des 190 SL-Mythos.
Während ein 300 SL mit Preisen ab 300.000 EUR für die Meisten ein unerfüllbarer Traum bleibt, bekommt man für den Preis eines gut ausgestatteten Mittelklasse-Cabrios (50.000 EUR) einen bereits gut erhaltenen 190 SL in der Zustandsnote "2" mit unschlagbarem Sympathiefaktor und - bei entsprechender Pflege - mit steigender Wertentwicklung.
Begegnung mit einem Klassiker aus den Gründerjahren der Massenmotorisierung
Die Entwickler des 190 SL waren dem Zeitgeschmack zugetan und wünschten damals eine üppige Chromstattung und zwar innen und auch außen. Demnach war es schick, dass auch ein nicht mehr ganz sauberes Auto außen glänzen müsse. Aber auch die Blechdicke hat verglichen mit heutigen Ausmaßen noch ganz andere Dimensionen. Alles wirkt sehr solide und verwindungssteif. Schon nach dem Öffnen der Türen stellt sich eine sinnliche Erfahrung ein, die jeden unfreiwillig an die Kindheitstage zurückerinnert. Diese ganz spezielle Geruchsmischung aus Leder, Öl und ein wenig verbranntem Benzin kann wirklich süchtig machen, noch bevor der Motor zum Leben erweckt wird. Dies wird übrigens mit einem - nicht erst seit heute modernen - Starterknopf erledigt. Im Innenraum fällt am Armaturenbrett neben der reichhaltigen Chromausstattung und Instrumentierung das spindeldürre Elfenbeinlenkrad im Familienpizza-Format ins Auge. Diese XL-Abmessungen sind allerdings wegen der fehlenden Servolenkung von Nöten. Auch sonst gibt es einige Besonderheiten, die viele Autofahrer von heute nicht mehr kennen und an die man sich erst vertraut machen muss: Die korrekte Bedienung des Kaltstart- und Warmstarterzugs, die Betätigung des Blinkers über den Hupenring am Lenkrad sowie die beiden Drucktaster im Fußraum neben der Kupplung mit sehr gegensätzlichen Funktionen - einer für das Auf- und Abblenden der Scheinwerfer, der andere für die Scheibenwasserpumpe. Auch der Umgang mit der unter dem Armaturenbrett versteckten Stockhebel-Handbremse und die nicht immer ganz exakte Schaltung bedarf einer gewissen Eingewöhnungsphase. Ganz zu schweigen von einer umsichtigen und vorausschauenden Fahrweise, denn Sicherheitsgurte und Scheibenbremsen sind ein Fremdwort.
Kaufberatung
Aufgrund fehlender Korrosionsschutzmaßnahmen hatten es viele der 190 SL in ihrem ersten Autoleben nicht leicht. Oftmals wurden in den 60er und 70er-Jahren unfachmännische Ausbesserungsarbeiten durchgeführt. Vorsicht ist zudem bei den berühmten "Kalifornien- oder Texas-Importen" angebracht. Hier ist die Historie entscheidend, denn nicht immer waren diese Fahrzeuge tatsächlich die ganze Zeit in diesen Staaten zugelassen. Auch das Können vieler Hinterhofwerkstätten sollte eingehend überprüft werden. Wer das nötige Kleingeld besitzt, sollte immer zum teureren Exemplar mit entsprechend guter Classic-Data-Einstufung greifen, denn selbst begnadete Selbstschrauber können bei der Restaurierung vor dem Hintergrund hoher Ersatzteilpreise nicht wesentlich viel Geld sparen. Allerdings ist zu bemerken, dass die Ersatzteilversorgung selbst sehr gut ist. Für unter 40.000 EUR sind heute nur noch schwer gute Exemplare zu finden. Auf folgende Punkte inkl. einer Hebebühnen-Begutachtung sollte immer geachtet werden:
Gleichmäßige Spaltmaße der Türen und Hauben ("Bierdeckeltest")/ Rostbefall an den Schottwänden des Motorraums, an den Steinschlagecken der hinteren Radläufe, an den Einstiegsblechen / Fehlende Sicken beim Einstieg (lässt auf Spachtelarbeit schließen)/ fehldende Kederbänder / Begutachtung der Bodenpartie und der Holzverkleidung unterhalb des vorderen Bodenteppichs / Lack-, Chrom- und Lederqualität / Zustand der Vergaser (insbesondere der originalen SOLEX-Exemplare)/ Heulende Hinterachse / Motornummernvergleich /passender Zylinderkopf / bei den späteren Modellen ->Kienzle Uhr am Handschuhfachdeckel / möglichst Becker Mexico Radio / Funktion des Bremskraftverstärkers.
Technische Daten des Mercedes-Benz 190 SL
Motor:
Typ: 4 Zylinder Motor Reihenmotor
Hubraum: 1897 ccm
Leistung: 77 kW / 105 PS bei 5700/min
Drehmoment: 142 Nm bei 3200/min
Kraftübertragung: Heckantrieb
Getriebe: 4-Gang-Getriebe
Fahrleistung:
Vmax: 175 km/h
Beschleunigung von 0-100 km/h: 14,3 sec.
Verbrauch: 10,8 - 14,2 l
Abmessungen:
Länge: 4290 mm
Breite: 1740 mm
Höhe: 1320 mm
Radstand: 2400 m
Gewicht: 1170 kg
Baujahr: 1955 - 1963
Stückzahl: 25.881
Neupreis bei Markteinführung: 16.500 DM (Roadster) 17.650 DM (Coupé)
Bilder von Mercedes-Benz 190 SL
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Fotos: © Daimler
Video von Mercedes-Benz 190 SL