Im August 1959 wird ein grundlegend überarbeitetes Pkw-Programm vorgestellt. Unter dem Motto „Die neuen Sechszylinder – Eine Klasse für sich“ erscheinen als Nachfolger der bisherigen Sechszylindertypen die drei vollkommen neu konstruierten Modelle 220 b, 220 Sb und 220 SEb der Baureihe W 111. Abgesehen von Ausstattungsdetails unterscheiden sich die neuen Typen nur in der Motorisierung voneinander.
Allen drei Modellen gemeinsam ist eine sehr geräumige, elegant gezeichnete Karosserie, deren hervorstechendstes Merkmal die Heckflossen darstellen – Konzession an den vor allem von amerikanischen Einflüssen beherrschten Zeitgeschmack. Dieses charakteristische Design-Element prägt später den Namen für die ganze Modellgeneration; die genannten Typen werden heute allgemein als „Heckflossen-Modelle“ bezeichnet. Maßstäbe setzt die neue Modellreihe in punkto passiver Sicherheit; erstmals wird in einem Serienwagen das Barényi-Patent der gestaltfesten Fahrgastzelle mit Knautschzonen vorn und hinten umgesetzt. Sicherheit ist auch oberstes Gebot bei der Gestaltung des Innenraums; so erhalten die neuen Typen ein gepolstertes Armaturenbrett mit elastischen, zum Teil versenkt angeordneten Bedienungselementen und ein Lenkrad mit Polsterplatte; bemerkenswert sind ferner die in dieser Form erstmals verwendeten Keilzapfen-Türschlösser, denen für die Unfallsicherheit ebenfalls erhebliche Bedeutung zukommt.
Rein äußerlich unterscheidet sich der 220 b in acht Punkten von seinen beiden Schwestermodellen: Die Typen 220 Sb und 220 SEb, von außen bis auf das Typenschild untereinander völlig identisch, weisen je einen zusätzlichen Chromstreifen links und rechts der Kühlermaske, ein verchromtes Lufteinlassgitter vor der Windschutzscheibe sowie verchromte Radzierblenden auf. Besonders deutlich fallen die Unterschiede im Heckbereich aus: Die beiden Modelle mit dem „S“ in der Typenbezeichnung haben einen Chromstreifen oberhalb der Heckscheibe, eine Zierleiste als Abschluss des Kofferraumdeckels, größere Rückleuchten mit integrierter Kennzeichenbeleuchtung sowie zusätzliche Stoßstangenecken zwischen Rückleuchten und hinterer Stoßstange. Außerdem sind die Heckflossen, offiziell als „Peilstege“ bezeichnet, nicht nur am hinteren Abschluss, sondern auch an der Oberkante mit Zierleisten versehen.
Bewährte Motoren
Die Motoren entsprechen im Großen und Ganzen den Vorgängermodellen, sind aber geringfügig modifiziert. Alle drei Aggregate haben einen geänderten Ventiltrieb und eine steilere Nockenwelle erhalten. Das Triebwerk des 220 b ist nun mit zwei Vergasern bestückt, und der Einspritzmotor des 220 SEb hat gerade Ansaugrohre. Resultat dieser Maßnahmen sind Leistungssteigerungen von vier respektive fünf PS.
Fahrwerk und Bremsanlage stammen ebenfalls prinzipiell von den Vorgängertypen, die Radaufhängung ist aber in einigen Punkten deutlich überarbeitet. Vorn wird das mit den „Ponton“ Modellen eingeführte Konzept des Fahrschemels beibehalten; dieser hat allerdings seine Form geändert und ist nun als simpler Querträger ausgeführt, der nur noch an zwei Punkten elastisch mit dem Rahmenboden verbunden ist. Hinten wird die bewährte Eingelenk-Pendelachse mit einer Ausgleichfeder versehen, die oberhalb des Drehpunkts horizontal angeordnet ist und für eine gleichmäßige Verteilung der Achslast auf beide Antriebsräder sorgt. An Vorder- und Hinterrädern befinden sich die Stoßdämpfer jetzt ganz außen, eine Maßnahme, die nicht nur eine effektivere Schwingungsdämpfung, sondern auch eine bessere Zugänglichkeit ermöglicht.
Die Bremsanlage wird innerhalb der Produktionszeit zweimal modifiziert: Im April 1962 erhalten zunächst die Typen 220 Sb und 220 SEb Scheibenbremsen an den Vorderrädern. Der 220 b zieht im August 1963 nach und wird gleichzeitig mit einem Bremskraftverstärker ausgerüstet, der zuvor nur gegen Aufpreis lieferbar ist. Im Rahmen dieser Änderung erhalten alle drei Modelle eine Zweikreisbremsanlage, die ein sicheres Abbremsen des Fahrzeugs auch bei Ausfall eines Bremskreises ermöglicht.
Kupplungautomat „Hydrak“
Wie schon ihre Vorgängermodelle sind auch die drei Typen der Baureihe W 111 auf Wunsch mit dem hydraulischen Kupplungsautomaten „Hydrak“ lieferbar, allerdings nur bis Anfang 1962. Ein vollwertiges Automatikgetriebe eigener Produktion, das in jahrelanger Arbeit zur Serienreife entwickelt worden ist, steht ab April 1961 zunächst nur für den 220 SEb zur Verfügung und kann ab August 1962 zum Mehrpreis von 1 400 DM auch beim 220 b und 220 Sb bestellt werden. Im Gegensatz zur Borg-Warner-Automatik, die ab 1956 im Typ 300 c und ab 1957 im Nachfolgemodell 300 d verwendet wird, kommt in der hauseigenen Neukonstruktion kein Drehmomentwandler, sondern eine hydraulische Kupplung zum Einsatz, die den Vorteil geringerer Leistungsverluste bietet. Das nachgeschaltete 4-Gang-Planetengetriebe besteht aus zwei Planetensätzen, drei Lamellenkupplungen und drei Bandbremsen.
Ein neues Top-Modell
Im August 1961 wird der Typ 300 SE als neues Modell der Oberklasse vorgestellt, das in seiner äußeren Erscheinung und seiner technischen Konzeption weitgehend dem 220 SEb entspricht, im Gegensatz zu diesem jedoch serienmäßig zahlreiche technische Besonderheiten hat. Neben dem 4-Gang-Automatikgetriebe und der ebenfalls neu entwickelten Servolenkung gehört zur Grundausstattung auch die erstmals bei einem Mercedes-Benz Pkw verwendete Luftfederung, die eine Kombination sportlicher Fahreigenschaften mit höchstem Federungskomfort gestattet. Ein weiteres Novum des intern W 112 genannten Typs stellen die Bremsen dar: Zum ersten Mal ist ein Mercedes-Benz Serien-Pkw mit einer Zweikreis-Bremsanlage sowie Scheibenbremsen an Vorder- und Hinterrädern ausgerüstet.
Der 3,0-Liter-Einspritzmotor basiert auf dem bewährten Aggregat des Typ 300 d, hat aber einen Leichtmetallblock mit eingepressten Laufbuchsen erhalten und ist dadurch um rund 40 Kilogramm leichter. Die Gemischaufbereitung erfolgt unverändert durch intermittierende Saugrohreinspritzung mittels Bosch Zweistempel-Einspritzpumpe. Im Januar 1964 wird die Verdichtung minimal erhöht und die Einspritzanlage auf eine Bosch Sechsstempel-Einspritzpumpe umgestellt. Die Motorleistung kann dadurch von 160 auf 170 PS (125 kW) gesteigert werden.
Die Karosserie des 300 SE entspricht praktisch vollkommen der des 220 SEb, bietet aber reichhaltigeren Chromzierrat. Hervorstechendstes Unterscheidungsmerkmal ist die von den Scheinwerfern bis zu den Heckleuchten durchgehende Chromleiste in der Längssicke; darüber hinaus besitzt der 300 SE Zierleisten an den vorderen und hinteren Radläufen sowie einen breiten Chromstreifen unterhalb der Türen. Zusätzliche kleine „300 SE“-Schilder, die in die Zierblenden auf den C-Säulen integriert sind, fallen weniger stark ins Auge. Auf Wunsch kann der 300 SE auch ohne die genannten Zierelemente geliefert werden.
Die Langversion kommt
Im März 1963 wird auf dem Genfer Automobil-Salon der Typ 300 SE lang vorgestellt, der bis auf seinen 100 Millimeter längeren Radstand mit dem Basismodell 300 SE identisch ist. Der Raumgewinn kommt ausschließlich der Beinfreiheit im Fond und der Einstiegsbreite der hinteren Türen zugute. Auf Wunsch kann der 300 SE lang mit Trennwand und elektrisch bedienbarer Zwischenscheibe geliefert werden. Abgesehen von ihren unterschiedlichen Abmessungen lassen sich 300 SE und 300 SE lang an einem Ausstattungsdetail leicht unterscheiden: Die Langversion hat keine Zierblende auf der C-Säule, da die Zwangsentlüftung anders erfolgt und die Öffnungen dementsprechend fehlen. Beide Varianten, 300 SE und 300 SE lang, sind seit Erscheinen der verlängerten Ausführung auch mit 4-Gang-Schaltgetriebe lieferbar; der Verkaufspreis reduziert sich dadurch um 1 400 DM.
Im Juli/August 1965 läuft die Produktion der 2,2-Liter- und 3,0-Liter-Typen mit Heckflossen-Karosserie aus. Als Nachfolger fungieren die Typen 250 S, 250 SE und 300 SE, die einer vollkommen neuen Modellgeneration angehören. Zur gleichen Zeit wird der 220 b durch den Typ 230 S abgelöst. Trotz der ungewohnten Typenbezeichnung ist das neue Modell im Grunde ein alter Bekannter: Der 230 S entspricht weitestgehend dem 220 Sb, hat aber einen überarbeiteten Motor. Durch Aufbohren des bewährten 2,2-Liter-Aggregats und eine Anhebung der Verdichtung kann die Leistung um zehn PS auf 120 PS (88 kW) gesteigert werden. Neu ist auch die hydropneumatische Ausgleichfeder an der Hinterachse, welche die bisherige Schraubenfeder ersetzt und das Niveau des Aufbaus unabhängig von der Höhe der Zuladung konstant hält. Rein äußerlich sind 230 S und 220 Sb nicht voneinander zu unterscheiden, außer durch einen Blick auf die Typenbezeichnung am Kofferraumdeckel.
Obwohl der 230 S von vornherein den Charakter eines Auslaufmodells hat, werden bis zur Produktionseinstellung im Januar 1968 immerhin 41 107 Stück gefertigt, davon 341 Fahrgestelle für Sonderaufbauten. Eine Sonderausführung des 230 S soll nicht unerwähnt bleiben: ein Kombiwagen, der im belgischen Karosseriewerk IMA auf dem Fahrgestell des 230 S produziert und ab August 1966 unter der Bezeichnung „Typ 230 S Universal“ über die Daimler-Benz Verkaufsorganisation vertrieben wird.
Zwischen 1959 und 1968 entstehen im Werk Sindelfingen insgesamt 344 751 Limousinen und Fahrgestelle der Baureihen 111 und 112.
Die Baureihen 111/112 in der Presse
Autocar, 6. November 1959, über den Mercedes-Benz 220 SE:
„Zusammengefasst, hat der 220 SE herausragende Straßeneigenschaften, unzweifelhaft ein Verdienst der langen Rennsporterfahrung des Unternehmens. Zusätzlich erlaubt er hohe und kontrollierte Reisegeschwindigkeiten bei sehr guter Treibstoffausnutzung. Das Interieur wurde dazu konstruiert, fünf Passagiere und ihr Gepäck über lange Strecken zu transportieren, auf eine Weise, die nur von wenigen anderen Autos erreicht wird, unabhängig von ihrem Herkunftsland.“
Sports Cars, England, Dezember 1959, über die Mercedes-Benz 220 S und 220 SE:
„’Fabelhaft’ heißt zu Deutsch herausragend, das beschreibt den neuen Mercedes 220 recht gut. Er setzt einen neuen Industriestandard, ein Standard, den nur wenige Hersteller erreichen können.“
Auto, Motor und Sport, Deutschland, Heft 19/1963, über den Mercedes-Benz 300 SE:
„Im Programm von Daimler-Benz ist der 300 SE außerdem so eine Art Aushängeschild, in dem alles vereinigt wurde, was man an technischen Raffinessen zu bieten hat: Luftfederung, automatisches Getriebe, Servolenkung. Es gibt nicht viele Autos auf der Welt, mit denen man so bequem und so sicher reisen kann wie mit dem 300 SE.“
Technische Daten von Mercedes-Benz W 111 (220/220 S/220 SE/230 S)
Ottomotoren
Hubraum: 2,2 - 2,3 Liter
Leistung: 70 - 88 kW
Abmessungen:
Länge: 4900 mm
Breite: 1810 mm
Höhe: 1440 mm
Radstand: 2750 mm
Leergewicht: 1440 kg
Produktionszeitraum: 1959 - 1968
W 111 Coupé / Cabriolet (220 SE C/250 - SE C/280 SE - C/300 SE C)
Ottomotoren
Hubraum: 2,2 - 3,5 Liter
Leistung: 120 - 200 PS
Abmessungen:
Länge: 4820 mm
Breite: 1790 mm
Höhe: 1400 mm
Radstand: 2750 mm
Leergewicht: 1510 kg
Produktionszeitraum: 1961 - 1971
Technische Daten von Mercedes-Benz W 112 (300 SE)
Ottomotoren
Hubraum: 3,0 Liter
Leistung: 118 - 125 kW
Abmessungen:
Länge: 4875 - 4975 mm
Breite: 1795 mm
Höhe: 1455 mm
Radstand: 2750 - 2850 mm
Leergewicht: 1565 - 1615 kg
Produktionszeitraum: 1961 - 1965
W 112 Coupé / Cabriolet (300 SE)
Ottomotoren
Hubraum: 3,0 Liter
Leistung: 118 - 125 kW
Abmessungen:
Länge: 4880 mm
Breite: 1845 mm
Höhe: 1395 mm
Radstand: 2750 mm
Leergewicht: 1590 - 1690 kg
Produktionszeitraum: 1962 - 1967
Bilder von Mercedes-Benz W 111/112
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Fotos: © Daimler
Video von Mercedes-Benz W 111/112